Sandra Euringer
Coaching & Training - Kreativtherapie - Yoga Nidra - Self Care - hub2hub

2022-10-16

Im Flow…

12.10.22
Am Morgen stand mein Entschluss fest, direkt nach Oppdal weiterzufahren, da ich dazwischen maximal 2 weitere Etappen im Gebirge hätte laufen können und dann das Weiterkommen wieder unklar gewesen wäre. Aber auch das stellte sich dann nicht als so einfach heraus: Ich kam von Kvam nicht weiter. Die ursprünglich angezeigte Busverbindung gab es dann doch nicht, der spätere Expressbus durfte von mir nicht gebucht werden, da Hunde nicht erlaubt waren (Ausnahmen gab es wegen Allergiegefahr keine) und dann blieb nur noch die Möglichkeit 12 km zurück nach Vinstra zu laufen, genau dorthin, wo mich Bjorn am Vortag am Bahnhof aufgegabelt hatte. Es gab nur am Abend einen Zug nach Oppdal. Als ich ihn gebucht hatte, musste ich feststellen, dass es trotz aktualisierter Liste vom Pilgerbüro keine Unterkünfte mehr in Oppdal gab … ok, irgendwie war das ein deutlich anderes Pilgern als sonst. Ich verbrachte unendlich viel Zeit mit der Organisation von Unterkünften und Zwischentransporten. Wo sollte ich abends um kurz nach 19 Uhr in Oppdal übernachten? Ich wünschte mich nach Portugal oder nach Spanien auf den Jakobsweg … da schien alles so viel einfacher… trotz der vorherigen Absage rief ich einfach nochmal in dem Hotel an, das bereits geschlossen hatte. Und dieses Mal hatte ich einen anderen Mitarbeiter am Apparat und Glück: obwohl niemand mehr da war, konnte ich noch eine Kabine haben und Zugang zu den sanitären Anlagen. Das Hotel lag nur 3 km vom Bahnhof entfernt und gegen 20 Uhr sollten Tara und ich dort ankommen. Auch die Unterkunft für den Folgetag konnte ich Organisieren.
Vielleicht war die Frage, die ich mir stellen musste: „Was will ich wirklich?“
Und da ich nur die 12 km zum Bahnhof zu laufen hatte, bekam ich viel Zeit geschenkt, um bis zum Abend im aufgewärmten Warteraum des Bahnhofs über die 196 Sutren von Patanjali Antworten auf diese Frage zu bekommen. Ganz unerwartet wurde es zu einem der schönsten Nachmittage auf meiner bisherigen Reise … ich hatte alles, was ich brauchte: Inspirationen und methodische Impulse über die sehr klaren und einfach zugänglichen Interpretationen von Sukadev, viel Zeit, um mich auf nichts anderes als auf diese Impulse einzulassen und eine warme Wartehalle für mich alleine, ohne störende Einflüsse. Für mich waren die Sutren nichts Neues, aber die Art und Weise, wie sie von Sukadev vertieft und teilweise auch anders interpretiert wurden als in den Übersetzungen, die ich bisher kannte, versetzten mich in ein Gefühl tiefer Freude. Und einige Methoden kannte ich so auch noch nicht … Die Zeit verflog viel zu schnell und dann kamen Tara und ich gegen 19 Uhr in Oppdal am Bahnhof an. Es war bereits dunkel und nieselte und da ich nicht wusste, wie ich jetzt am schnellsten zu unserer Unterkunft laufen sollte, nutzte ich Google Maps: Es fand auch gleich die Hotelanlage und zeigte ein Bild mit den Hütten. Schien alles ganz einfach. Die 3,2 km Entfernung passte auch und so vertraute ich mich der Routenplanung an. Am Ende stand ich auf einem riesigen Feld, umgeben von Dunkelheit und es gab nur 2 Wohnhäuser in der Nähe.  Je nachdem, wie ich mich drehte, zeigte der Routenplaner in andere Richtungen und gab an, dass das Hotel in 200-250 m Entfernung lag… aber außer Dunkelheit war da nichts! Was sollte das bedeuten? Ich hatte keine Angst aber ich wollte ankommen und verstehen, warum von der Hotelanlage keine Spur war. Also klingelte ich an einem der beiden Wohnhäuser. Ein Kind erschien am Fenster und verschwand sofort wieder – nichts passierte. Nach dem 3. Mal sah ich Menschen aus dem 2. Haus auf mich zukommen. Das Kind hatte offensichtlich Angst bekommen und seine Eltern beim Nachbarn telefonisch verständigt. Wie sich herausstellte, hatte mich die Routenplanung völlig unsinnig über Feldwege geleitet und da es keine Straßenbeleuchtung gab, konnte ich auch nicht erkennen, dass es hinter dem 2. Haus einen Hügel hinabging und nicht weit dahinter auch die Hotelanlage sichtbar wurde, zu der mich der nette Vater des Kindes mit seiner Taschenlampe eskortierte, Einspruch meinerseits war zwecklos. Er wollte, dass ich sicher ankam.

13.10.22
Es war der erste Tag, an dem es von morgens bis abends nur regnete und es war mittlerweile so kalt, dass ich nur mit Handschuhen und gut eingepackt laufen konnte. Gleichzeitig war ich dadurch gut bei mir: Während des Laufens dachte ich an all die Menschen, die mir in der letzten Zeit nahegestanden hatten oder die, in welcher Form auch immer, eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hatten. Ohne dass ich darüber nachdenken musste, tauchten sie hintereinander auf meinem inneren Bildschirm auf und ich versuchte, intuitiv zu spüren, was er oder sie jetzt am meisten brauchte, um noch glücklicher zu sein. Dann lies ich ein Bild entstehen, in dem sich dieser Mensch genau in diesem Zustand befand. Am Ende machte ich diese Übung auch mit mir selbst. Mir wurde bewusst, wie sehr ich in der letzten Zeit all meine To-Do –Listen abgearbeitet hatte und wie wenig ich Ereignissen erlaubt hatte, auf mich zuzukommen. Alles hatte ich geplant, organisiert und gut durchdacht. Das Lebendige und die kleinen (und großen) Wunder waren dabei viel zu kurz gekommen. Wie auch? Ich war ja durchgetaktet … und genau das wollte und musste ich wieder ändern. Am Ende spürte ich, wie glücklich ich durch den Regen lief.
Am späteren Nachmittag kamen Tara und ich in unserer nächsten Herberge, einer alten Farm aus dem 16./17. Jh., an. Was von außen wie eine sehr einfache Blockhütte aussah, war von innen wieder wunderschön dekoriert und mit einem alten Holzofen ausgestattet. So einen kannte ich auch aus Australien und als ich das zu meiner Herbergsmutter sagte, fragte sie mich danach, wo ich denn gelebt hätte … und dann stellte sich heraus, dass sie mit ihrem Mann auch mehrere Monate in Perth/ Fremantle verbracht hatte … und wir gerieten bei Rottnest Island beide ins Schwärmen.
Den Abend verbrachte ich damit, einige der neuen Meditations-Impulse auszuprobieren und wachte am Morgen so erholt wie noch nie in den letzten Wochen auf.

14.10.22
Die Sonne schien und wir wanderten durch sehr schöne und abwechslungsreiche Landschaft; vorbei an Bächen und Flüssen, kleinen Pilgerunterständen und machten zwischendurch immer wieder Pausen. Genauso hatte ich es mir vorgestellt, entspannt und ohne Stress. Als mich meine Herbergseltern am Morgen gefragt hatten, wo ich denn die nächsten Tage übernachten würde, hatte ich ihnen gesagt, dass ich zwar für die nächste Nacht schon eine Herberge hatte, aber bewusst keine weiteren abtelefoniert hatte, einfach, weil ich keine Lust mehr auf den ganzen Organisationsstress hatte. Entweder es klappte jetzt entspannt und ohne großen Organisationsaufwand oder ich würde mich in den nächsten Bus setzen. Und vielleicht war es auch diese Einstellung, die diesen Tag so entspannt werden ließ.
Ingrid, die Besitzerin der Farm meiner heutigen Herberge, hatte mir vorab getextet, dass sie nicht da sein würde. Grund war, dass sie im Wald nach verlorenen Schafen suchen musste, aber sie hatte schon mal für mich die kleine Hütte neben dem Haus eingeheizt. Abends saßen wir dann bei einem Tee bei ihr zusammen und sie erzählte, dass es nicht einfach gewesen war, nach dem frühen Tod ihrer Eltern mit 20 Jahren die Farm alleine zu führen. Für die Sommermonate wünschte sie sich eine Unterstützung, die Lust hätte, sich um die Pilger zu kümmern, denn das wurde ihr auf die Dauer einfach zu viel… sie wollte reisen und mehr Erfahrungen machen. Falls sich jemand angesprochen fühlt, im nächsten Sommer 3 Monate bei Ingrid im Meslo Gard in der Nähe von Voll mitzuhelfen, gerne melden.

15.10.22
Beim gemeinsamen Frühstück sagte mir Ingrid, dass ich Glück hätte, eine Oktober – Pilgerin zu sein. Im Sommer wäre sie sonst viel zu gestresst und könnte sich keine Zeit zum gemeinsamen Frühstück nehmen. Sie riet mir auf dem nächsten Teilstück nicht den eigentlichen Olavsweg zu laufen, sondern empfahl mir eine schönere Strecke am Fluss entlang, sonst wäre ich gleich zu Beginn des Tages völlig eingematscht. Zwar hing der Himmel noch voller dicker Wolken aber der Regen hatte aufgehört und im weiteren Verlauf klärte es auf und die Sonne schien und ließ den Wald in den buntesten Farben leuchten. Im Herbst habe ich immer das Gefühl der Wald verwandelt sich in eine einzige Kunstausstellung. Dann wenn die Blätter fallen und sich die Formen der Äste wie Skulpturen gegen den Himmel abzeichnen, treten die Bäume in ihrer Einzigartigkeit hervor. Davor sind sie Teil eines grünen Meeres, das seine eigene Schönheit hat. Im Herbst sind sie einzigartig(er) –wie Tänzer, die kurz innehalten.
Ich hatte am Tag davor einmal kurz (!) telefoniert, und die nächste Herberge, die wir in 6-7 Stunden bequem erreichen konnten, hatte noch geöffnet. Ich war zwar wie sonst auch die einzige Pilgerin und die Besitzer des Hofes waren übers Wochenende verreist, aber telefonisch konnten wir alles klären. Als wir ankamen war die kleine Veranda vor der windschiefen Hütte von der Abendsonne angestrahlt – Tara bekam ihr Futter und ich genoss meinen Tee in der Sonne.

16.10.22
Die kleine Hütte hatte über Nacht deutlich abgekühlt und ich beeilte mich um kurz nach 8 Uhr loslaufen zu können. Es fühlte sich wie ein perfekten Skitag an: die Sonne strahlte, es war beißend kalt, nur der Schnee lag bisher noch auf den Berggipfeln. Wenn alles klappte, wollte ich mit Tara in der etwa 28 km entfernten Herberge übernachten. Anrufen wollte ich im Laufe des Tages, alternativ wusste ich, dass es dazwischen noch eine Unterkunft gab, die geöffnet hatte.
Seit Tagen hatte ich keine Musik mehr gehört. Das war eine bewusste Entscheidung, einfach um mehr nach innen gehen zu können. Heute hatte ich Lust mit Musik zu laufen und es war einfach nur schön; ich lief wie von selbst und ließ die Landschaft, die nach und nach auch im Tal in Sonne getaucht wurde zum Teil von mir werden, wie ein gemeinsames Atmen, ein gemeinsames Sein. Ab und an tauchten Erinnerungen auf, aber an keiner hing ich fest, sondern kam immer wieder zu diesem Zustand der Verbindung zurück. Irgendwann sah ich meinen Schatten und musste lachen; es war mehr ein Tanzen als ein Laufen, aber es war Sonntag und außer mir war kaum jemand unterwegs … und wenn schon, auch tanzende Pilgerinnen darf es geben!
Meistens haben die Supermärkte auch an Sonntagen geöffnet, aber sowohl in Medal als auch in Lokken Verk war das leider nicht so. Für Tara hatte ich noch genug, für mich hoffte ich in der Herberge etwas bekommen zu können. Am Vormittag hatte ich wieder problemlos einen Platz reservieren können.
Als ich durch Medal lief, kam in mir erneut die Frage auf, was ich mit den kommenden 2 Etappen machen sollte. Ich wusste vom Pilgerzentrum, dass die Herberge der nächsten Etappe geschlossen hatte, auch Busbverbindungen zum Weiterkommen hatte ich nicht gefunden und auch vom Pilgerzentrum keine Info bekommen können. Ich hatte zwar eine Telefonnummer in Skaun erhalten, aber da hatte sich bisher niemand gemeldet. Ich erwähne das auch deshalb, weil im Pilgerführer Bilder von der Strecke durch das Hochmoor abgebbildet waren: 2 Bohlen die nebeneinander verliefen und deutlich schmaler aussahen als die Abstände meiner Trailerräder. Als Kind hatte ich mir das Moor immer als extrem gefährlich ausgemalt und eine der kommenden Teiletappen verlief durch das Hochmoor und in mir tauchten Bilder auf, wie Tara und ich plötzlich in einem Moorloch versanken … wahrscheinlich sehr unrealistisch aber die Bilder kamen eben hoch. Wir machten eine kurze Rast und kurz darauf hielt ein Auto in unserer Nähe. Offensichtlich wollte der Fahrer etwas von uns: Tara riss sich begeistert mit ihrer Leine vom Trailer, so dass er gleich umstürzte und ließ sich erst mal kraulen.
Karl Jensen stellte sich mir vor und meinte, dass er auf der Suche nach seinem Jagdhund „Happy“ sei. Dann deutete er auf meinem Trailer auf dem vorne ein Olavswegzeichen klebte und meinte, dass er der Verantwortlich für den Weg sei.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass an einem Sonntagmorgen der Verantwortliche für den Olavsweg plötzlich vor mir steht, um mir meine Fragen fürs Weiterkommen zu beantworten, die ich mir wenige Minuten zuvor noch gestellt hatte? Aber da war er! Als ich ihm das Bild mit den Bohlen zeigte und ihn fragte, ob er glaube, dass ich damit mit dem Trailer darauf entlanglaufen könnte, meinte er nur, das ginge auf gar keinen Fall, da das nicht breit genug sei. Aber ich könnte bestimmt daneben laufen. Als ich ihn fragte, ob ich dann nicht einsinken würde (versinken kam mir dann doch etwas übertrieben vor), meinte er, aus seiner Sicht sollte ich da derzeit gut laufen können. So schnell hatte sich meine Frage geklärt und ich versprach ihn anzurufen, sollte ich seinen Hund unterwegs treffen.
Der Flow beim Laufen hielt an und am frühen Nachmittag kamen wir in unsere Herberge an – im Kühlschrank befanden sich frische Eier und Brot gab es auch.
Für die kommende Etappe wollte ich am nächsten Tag erneut versuchen, jemanden unter der Telefonnummer zu erreichen. Alternativ hatte ich beschlossen, den Weg nach dem heutigen Zusammentreffen mit Karl Jensen als Zeichen zu sehen und im Notfall an einem überdachten Rastplatz zu übernachten – immerhin wäre das meine erste Übernachtung im Freien.

Admin - 17:56:51 | Kommentar hinzufügen

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Am 26.09.22 geht es los...

Gästebuch

Michael Fetzer
12.10.2022 18:15:22
Ups, da machst du ja 'Erfahrungen' im Sauseschritt!
Zum Glück scheinst du koerperlich noch so fit, deine Reise fortsetzen zu koennen. Und vermutlich bist du in dir schon an Punkte gelangt, wo du bisher gar nicht wusstest, dass es sie gibt...
Und ein (oder mehrere) aussergewoehnlicher Schutzengel scheint dich zu begleiten. Gut zu wissen.
Weiterhin gutes Gelingen und auf einen Austausch, der wahrscheinlich Tage dauert :-)
Michael Fetzer
02.10.2022 14:44:04
Hallo liebe Sandra, wahrscheinlich eignet sich Norwegen wie kaum ein anderes Land, im Durchwandern zu sehen - gehen zu lassen - sich erinnern - loszulassen...
Sehen, erspüren, hinein- und hinausgehen. Der Prozess von Lebendigkeit ein- und ausatmen. Sich einlassen, im Tun die Wirkung erfahren und zu neuen Horizonten aufbrechen.
Eigentlich alles ganz einfach :-)

Schön, dass du dir Zeit und Raum nimmst, wieder tiefer einzutauchen: in dich, deine Fragen, deine Schritte, deine Wünsche, deine Perspektiven.
Egal was kommt, es wird gut!
Stärkende Grüße, Michael