Sandra Euringer
Coaching & Training - Kreativtherapie - Yoga Nidra - Self Care - hub2hub

2022-10-04

2.-4.10.22 Vertrauen

2.10.22
In der Nacht wurde ich von starken Bauchschmerzen geweckt; 2 Tütensuppen pro Tag waren offensichtlich nichts für meinen Magen (v.a. weil er das sonst überhaupt nicht gewöhnt ist). Nachdem alles wieder raus war, war die Nacht deutlich kürzer und am nächsten Morgen war ich dann nicht ganz so erfrischt wie geplant. Die Landschaft war im Tal in eine dicke Nebelhülle eingetaucht und im oberen Bereich in dem wir liefen, hatte sich die Nebeldecke bereits geklärt – das passte zu meiner Magenstimmung. Ich hatte am Vortag nach mehreren Versuchen doch noch eine Unterkunft auf einer alten Skistation organisieren können. Eigentlich hatte sie schon für Pilger geschlossen und als ich ankam war auch klar, warum: Es war sehr kalt und in der Hütte für Pilger gab es außer einem kleinen Gasherd zum Erwärmen von Wasser keine Heizmöglichkeiten. Tara und ich konnten unseren Atem im Raum sehen … sonst war außer mir niemand auf der Station. Auch Strom gab es nicht und Wasser konnte ich aus dem Brunnen holen. Immerhin würde ich jetzt meinen Schlafsack richtig testen können und besser als im kleinen Zelt mit Tara war das allemal. Und das kleine Plumpsklo mit seinen bunt beklebten Blättern am Fenster hatte Charme!
Bisher war ich auf dem Pilgerweg keinem anderen Pilger begegnet. In den Gästebüchern lagen die letzten Eintragungen gut einen Monat zurück. Anders als in Spanien hatte ich das Gefühl, auf meiner ganz eigenen Reise nach innen zu sein; wie ein Abschließen der letzten Jahre.
Jetzt wünschte ich mir, dass zufällig jemand von der Skistation vorbeikam, um in einem der Gebäude mit Kamin zu übernachten und mich für ein paar Stunden einladen würde, mit am warmen Kamin zu sitzen. Es wurde immer kälter – auch in meiner bis -10 Grad Komfort Jacke! Kurz darauf lief tatsächlich ein Wanderer mit Rucksack am Gatter der Skistation vorbei und Tara stürzte auf ihn zu um ihn kräftig anzubellen. Das störte ihn offensichtlich nicht, denn er fing gleich an sie zu kraulen und mir zuzuwinken und dann lief er auch schon weiter. Vielleicht war er auf der Suche nach der Pilgerherberge und hatte vor lauter Bellen das Schild übersehen?
Etwa eine Stunde später tauchte er aus der anderen Richtung wieder auf. Dieses Mal lief Tara allerdings gleich schwanzwedelnd auf ihn zu und wurde auch gleich wieder gekrault. Ich lief zum Tor und fragte ihn ob er die Herberge suchen würde. Er verneinte und fragte mich ob ich eine Pilgerin sei. Ich bejahte, worauf er mir mitteilte, dass ich außerhalb der Saison unterwegs sei. Das war mir mittlerweile ja sehr bewusst und ich erklärte ihm, dass ich pilgern und Polarlichter sehen wollte. Dann zeigte er zum Himmel und meinte, dass das mit den Wolken nichts werden würde. Als ich ihm sagte, ich hätte ja noch ein paar Wochen Zeit, lächelte er mich an, wünschte mir Glück und dann lief er auch schon wieder weiter. Also doch nichts mit warmen Kamin! Aber immerhin hatte ich ein paar Stunden später einen wunderschönen nächtlichen Sternenhimmel über mir. Ebenso hielt mein Schlafsack sein Versprechen und Tara wurde es unter den ganzen Decken zwischendurch sogar zu warm.

3.10.22
Wir wurden von Sonnenstrahlen geweckt und endlich stellte sich auch das Gefühl „von selbst laufen“ ein. Wir passierten auch die laut Pilgerführer gefährlichste Stelle der Reise entlang einer Schnellstraße an der Tara wohl meine Besorgnis gespürt hatte und perfekt an der Innenseite der Leidplanke entlangbalancierte während ich auf der Straßenseite so eng wie möglich an der Planke den Pilgertrailer schob. Wir waren so schnell wie noch nie an unserem Tagesziel - einem kleinen Frauenkloster mit Übernachtungsmöglichkeit - angekommen. Wie sich herausstellte lebten in dem Kloster nur noch 2 Schwestern, wovon eine sehr krank war. Schwester Magnhild hatte uns Obdach gewährt, obwohl sie normalerweise keine Hunde im Kloster zulassen – und es dauerte nicht lange da hörte ich sie liebevolle Worte auf Norwegisch zu Tara sprechen während Tara auf dem Rücken lag und sich den Bauch kraulen lies. Abends wurde ich zum gemeinsamen Singen in die Kapelle eingeladen. Schwester Magnhild reichte mir Liedertexte auf Norwegisch in denen ihr unser gemeinsamer Part markiert waren. Ebenso fragte sie mich, ob ich den Psalm auf Deutsch lesen könnte, da ihre Schwester, die diesen Part normalerweise übernahm, wegen Krankheit nicht teilnehmen konnte. Ich stimmte allem zu und versprach mein Bestes, wobei ich mich normalerweise vor öffentlichen Singen drücke.
Und dann hörte ich ihre Stimme… Sie sang so wunderschön, so zart, so liebevoll und mit einer sehr hohen Stimme, dass ich plötzlich merkte wie die Buchstaben vor meinen Augen verschwammen und sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich wusste nicht was sie sang, aber es war sehr berührend und die kleine Kapelle war erfüllt davon. Ich flüsterte meine Chorpart und war einfach mit ihrer Stimme. Später sagte sie mir, dass sie dafür gesungen hatten, dass ich die Reise gut und ohne Gefahren bestehen würde.

4.10.22
Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns und sie meinte, dass sie mir um 2:30 Uhr eine Nachricht hinterlassen hatte, da sie vom Hauptgebäude Geräusche gehört hatte. Als sie zum Gästehaus geschaut hatte, meinte sie eine dunkle Gestalt an der Tür des Gästehauses gesehen zu haben. Zum Glück hatte ich die Tür gut verschlossen und Tara und ich hatten im 2. OG nichts gehört. Vor wenigen Monaten war bereits die Polizei wegen Unruhestiftung bei ihr gewesen. Dann sah sie mich streng an und meinte ich hätte etwas vergessen. Ich hielt kurz inne, aber hatte das Gefühl alles erledigt zu haben. Und dann lächelte sie, deutete auf Tara und meinte ich hätte vergessen den Namen meines Hundes ins Gästebuch zu schreiben. Sie kam die Treppen herunter und verabschiedete sich von uns beiden … und ich vermute in Zukunft haben Hunde bessere Chancen im Kloster übernachten zu dürfen.
Die Landschaft war in tiefen Nebel getaucht. Es führte dazu, dass ich meine Stirnleuchte an den befahrenen Straßen aufsetzte, damit wir gesehen wurden, so dicht war der Nebel. Auf einem Feldweg brauste wenig später ein Bauer auf einem kleinen Traktor vorbei und grüßte nett. Kurz darauf kam er wieder angefahren und hielt an und erklärte mir, dass ich beim nächsten Zeichen nicht das Gatter überqueren sollte, da dort Tiere wären. Also einfach am Zaun weiterlaufen und dann rechts halten. Er fuhr weiter und wir liefen wie besprochen am Zaun entlang … und dann waren wir völlig eingematscht und auch sehr orientierungslos, da wir irgendwie auf einer riesigen Feldfläche standen und kein Zeichen war in Sicht! Da stand ich nun mit meinem Pilgerführer in der Hand auf dem Feld. Der Bauer hatte mich von weitem beobachtet und kurz darauf kam er in hohem Tempo wieder angefahren und bot mir an zu helfen, indem er den Pilgertrailer auf seine Ladefläche lud und ich mit Tara durch das Matschfeld watete. Nach einigen Anläufen schaffte er es auch den Trailer mit einer Hand zu stabilisieren und dann einarmig übers Feld zu fahren. Immerhin wir waren wieder auf dem Weg! Heute war wohl Matschtag und ich rutsche zweimal aus und sah schlimmer aus als Tara nach ihren täglichen Wälzübungen im schlammigen Gras.
Ich musste darüber nachdenken, wie ich gestern zu Schwester Magnhild gesagt hatte, dass eine der wichtigsten Lektionen auf dem Camino für mich die Erfahrung von tiefem Vertrauen gewesen war. Ich hatte damals keine Übernachtungen vorbestellen können (vor 19 Jahren war das einfach auch nicht möglich gewesen), aber immer hatte sich für mich und meinen Sohn und später auch auf der Reise mit meinen beiden Kindern, eine Unterkunft aufgetan. Dieses Mal machte ich mir ständig Sorgen, weil ich vermeiden wollte durchgeschwitzt draußen in der Kälte übernachten zu müssen. Wo war mein Vertrauen?
An einer Weggabelung an der es zu einer Herberge abzweigte entschloss ich mich, bei den Herbergen in der näheren und weiteren Umgebung anzurufen und zwar mit der Intention, dass genau die richtige Übernachtung auf uns zukommen würde. Bei den ersten meldete sich niemand, dann bekam ich die Info, dass sie derzeit nicht zu sprechen seien, dann sagte mir eine Norwegerin zum ersten Mals sehr deutlich, dass sie keinen Hund aufnehmen würde, da sie das in den letzten 20 Jahren noch nie getan hatte… und dann meldete sich Lasse. Wie ich später erfuhr war er 48 Jahren in der Gemeinde Hoff tätig gewesen, in späteren Jahren hatte er dort als Pastor gearbeitet und kannte die Gemeinde sehr gut. Mittlerweile war er seit einigen Jahren pensioniert und versprach mir herauszufinden, ob ich außerhalb der Saison übernachten könnte. Er war die Hilfsbereitschaft in Person und organisierte für mich ein bezogenes Bett und das gesamte Gemeindehaus mit Duschen, Küche … und WLAN. Da er noch einen Schlüssel zur 800 Jahre alten Kirche hatte, bekam ich auch eine eigene Führung. Wir kamen relativ schnell auf die Themen Sterben und Tod zu sprechen und wie wichtig es ist, die Angst davor zu nehmen. Ich berichtete ihm von meiner Arbeit und den Ideen in unserem Netzwerk. Und dann fragte er mich, ob er einen seiner Schüler, mittlerweile ein bekannter Pianist, anrufen könnte. Er hatte selbst in der letzten Zeit Podcasts zu den Themen veröffentlicht und war erneut an Krebs erkrankt. Kurz darauf sprach ich mit Torbjorn am Telefon und er schlug vor, dass wir uns am nächsten Morgen zum Essen treffen könnten. Es ist wohl die ungewöhnlichste Verabredung, die ich bisher hatte: Laufe von der Kirche aus um 10.45 Uhr weiter auf dem Pilgerweg und nach 45 Minuten werden wir uns treffen. Ich schaute Lasse nach dem Telefonat etwas fragend an und er meinte nur, dass Torbjorn direkt am Pilgerweg wohnte und er selbst würde versuchen zu ihm zu fahren und würde mir dann mit Torbjorn entgegenkommen. Und dann meinte er noch: Es gibt keine Zufälle!

Admin - 20:08:54 | Kommentar hinzufügen

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Am 26.09.22 geht es los...

Gästebuch

Michael Fetzer
12.10.2022 18:15:22
Ups, da machst du ja 'Erfahrungen' im Sauseschritt!
Zum Glück scheinst du koerperlich noch so fit, deine Reise fortsetzen zu koennen. Und vermutlich bist du in dir schon an Punkte gelangt, wo du bisher gar nicht wusstest, dass es sie gibt...
Und ein (oder mehrere) aussergewoehnlicher Schutzengel scheint dich zu begleiten. Gut zu wissen.
Weiterhin gutes Gelingen und auf einen Austausch, der wahrscheinlich Tage dauert :-)
Michael Fetzer
02.10.2022 14:44:04
Hallo liebe Sandra, wahrscheinlich eignet sich Norwegen wie kaum ein anderes Land, im Durchwandern zu sehen - gehen zu lassen - sich erinnern - loszulassen...
Sehen, erspüren, hinein- und hinausgehen. Der Prozess von Lebendigkeit ein- und ausatmen. Sich einlassen, im Tun die Wirkung erfahren und zu neuen Horizonten aufbrechen.
Eigentlich alles ganz einfach :-)

Schön, dass du dir Zeit und Raum nimmst, wieder tiefer einzutauchen: in dich, deine Fragen, deine Schritte, deine Wünsche, deine Perspektiven.
Egal was kommt, es wird gut!
Stärkende Grüße, Michael