Sandra Euringer
Coaching & Training - Kreativtherapie - Yoga Nidra - Self Care - hub2hub

2022-10-19

Zweimal Nidarosdom, einmal zurück …

17.19.22
Mein Herbergsvater hatte am Vortag so nebenbei gemeint, ich solle erwarten, nass zu werden. Ich hatte keine Ahnung, wie nass ich werden würde. Es regnete die meiste Zeit und der Boden war bereits sehr aufgeweicht. Wenn es Bohlen auf dem Weg gab, dann war es teilweise so, dass sie wie eine Schaukel beim Betreten mit mir einsanken. Meine Schuhe waren bereits nach einer Stunde vollkommen nass und die Idee bei der Kälte mit völlig durchweichten Schuhen draußen zu übernachten kam mir mittlerweile völlig absurd vor. Ich versuchte zwischenzeitlich nochmal jemanden unter der Telefonnummer in Skaun zu erreichen – beim zweiten Mal hatte ich Glück, oder zumindest etwas Glück. Ich erreichte meinen Ansprechpartner mitten im Wald und er empfahl mir 2 Namen, die mir in Skaun möglicherweise weiterhelfen könnten: die Beschreibung war in etwa so: Wenn du in 500 Meter Entfernung die Kirche von Skaun siehst, dann gibt es bei der Kreuzung etwa 5 Häuser. In einem davon wohnt Rut, sie kann dir weiterhelfen.
So mussten sich die Pilger früher gefühlt haben; völlig ungewiss ob sie eine Unterkunft für die Nacht finden würden und abhängig vom Wohlwollen der anderen. Ich hatte noch nie bei jemanden an der Wohnungstür geklingelt und gefragt ob er oder sie noch einen Platz zum Übernachten hätten. Dagegen war Pilgern in Spanien wirklich einfach gewesen.
Aber ich war völlig durchgefroren und die Tagesetappe war sehr anstrengend gewesen: das Weiterkommen im Sumpfgebiet mit dem Trailer hatte deutlich länger gedauert als angegeben. Tara war eng bei mir geblieben, teilweise sogar hinter mir gelaufen um, wie es mir vorkam, sicherzustellen, dass ich auch vorankam. Einmal hatten wir uns sogar verlaufen und um mich herum war nichts als Sumpfgebiet gewesen.
Und dann merkte ich wie ich mich selbst beobachtete, wie ich so am Kämpfen und Vorankommen war und ich stellte mir die Frage: Macht dir das gerade Spaß, geniest du, was du da machst? Und dann änderte ich bewusst die Perspektive: Ja, genau das wollte ich und ich konnte es genießen … nicht die Kälte, aber die schien mir nicht mehr so intensiv zu sein. Deutlich besser gelaunt klopfte ich also an besagter Kreuzung an die Tür eines Hauses und dann wurde mir das Haus von Rut gezeigt. Als ich bei Rut klingelte und sie fragte, ob sie möglicherweise eine Idee hätte, wo ich die Nacht verbringen könnte, lächelte sie mich an und sagte, natürlich hätte sie eine Idee.
Nur wenige Minuten später saß ich mit Tara bei ihr im Auto und mein Trailer fuhr uns im Wagen ihres Schwagers zum Haus ihres anderen Schwagers hinterher. Sie kannte mich nicht aber es war völlig klar für sie, mir ihre Unterstützung anzubieten, da besagtes Haus ihres Schwagers gerade leer stand.
Wir verabschiedeten uns bis zum nächsten Morgen und sie wollte mich abholen, um mir eine kurze Kirchenführung zu geben. Skaun ist bekannt für seine Kirche, die als einzige norwegische Kirche einen Altar mit Szenen aus dem Marienleben besitzt.
Froh, über den positiven Ausgang des Tages bereitete ich mir in der Küche einer meiner letzten Tütensuppen zu… Und dann ging der Feueralarm los und als ich ins Wohnzimmer stürmte qualmte es heftig und meine Wanderschuhe brannten. Sie standen tatsächlich in Flammen! Ich hatte sie auf den Holzofen im Wohnzimmer gestellt, in der Hoffnung sie bis zum nächsten Morgen trocken(er) zu bekommen. Der linke Schuh war im oberen Bereich abgebrannt, so dass die Schnalle nicht mehr verwendet werden konnte und auch die Schnürsenkel waren nur noch zur Hälfte nutzbar, den rechten hatte es nicht ganz so schlimm erwischt. Irgendwie sollte das noch gehen.

18.10.22
Rut holte mich pünktlich um 7:30 Uhr zum Kirchenbesuch ab. Es war noch dunkel und sie fragte mich, ob es mir etwas ausmachte, so früh loszulaufen. Als ich meinte, ich würde vorher noch einen längeren Einkauf im Supermarkt planen, da ich die letzten Tage nicht aufstocken konnte und außer für Tara keinerlei Essensvorräte mehr hatte, schaute sie mich nur mitleidsvoll an: der Supermarkt in Skaun hatte wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ok, dann eben Fastenwandern … es waren ja nur 15 km bis zum nächsten Ort mit Supermarkt, und der sollte auch tatsächlich geöffnet haben.
Nach einer Stunde waren meine Schuhe mindestens genauso aufgeweicht wie am Vortag und es nieselte wieder. Es gab einige sehr steile Hänge, die zusätzlich mit Seilen gesichert waren. Für Fußpilger ohne Trailer war das im Matsch schon nicht einfach, aber mit dem Trailer brauchte ich dafür wieder deutlich länger. Aber genau diese Momente brachten mich ganz ins Hier und Jetzt und sosehr ich mir auch den Supermarkt für mein Frühstück herbeiwünschte, wusste ich, dass ich auch wegen diesen Momenten hier war … raus aus der Komfortzone und wertfrei sein mit dem, was ist.
Der Tag hatte noch ein paar andere Tests für mich bereit: nach dem Supermarkt kam ich relativ schnell bei der geplanten letzten Etappe vor Trondheim an; laut aktualisierter Liste des Pilgerzentrum sollte es 3 Möglichkeiten zum Übernachten geben: Die erste war geschlossen und niemand war telefonisch erreichbar, bei der zweiten wurde mir gesagt, dass die Scheune, in der sich die Übernachtungsmöglichkeiten befanden, kürzlich abgebrannt sei und als ich bei der dritten Unterkunft vorbeikam, schaute eine Frau mit starkem französischem Akzent erst zu mir und dann zu Tara und nannte mir einen Übernachtungspreis, der entgegen der Liste 70 % höher lag, so hoch wie in keiner Unterkunft zuvor. Es war klar, dass sie keine Lust auf einen nassen Hund hatte.
Und ich hatte keine Lust mir das gefallen zu lasse! Also rief ich im Pilgerzentrum von Trondheim an. Da es außer mir keine Pilger mehr gab, nahm sich Toralf auch viel Zeit und schlug mir vor, den nächsten Bus nach Trondheim zum Pilgerzentrum samt Herberge zu nehmen und am nächsten Tag einfach das letzte Stück ohne Gepäck zu laufen.
Ich bekam mit Tara Sonderkonditionen und durfte im Hotel, zu dem zusätzlich auch das Pilgerzentrum und die Herberge gehörten, den Schlafsaal für uns alleine haben.

19.10.22
Das Schöne an der Zivilisation sind die Frühstückbuffets und das im Nidaros Pilgrimsguard war besonders reichhaltig und lecker … ich kann nie verstehen, wie Menschen bei solch einem Buffet so missmutig am Frühstückstisch sitzen können … vielleicht ist das auch einer der Nebeneffekte am Pilgern: mehr Schätzen und Freuen lernen.
Wir liefen die letzte Etappe, wurden von Regen begleitet und kamen am Nachmittag wieder in der Pilgerherberge direkt neben der Nidaros Kathedrale an. Leider hatte das Pilgerzentrum bereits geschlossen.
Auf dem Weg war ich immer wieder über Hinweise auf einen Küstenpilgerweg gestoßen und ich hatte bei meiner Ankunft am Vortag an der Rezeption bereits nachgefragt … bisher hatte ich noch keine Polarlichter gesehen und ich musste entscheiden, wie wir weiterlaufen bzw. planen sollten. An der Rezeption lag aber ein Brief für mich bereit, in dem mir zugesichert wurde, dass am nächsten Morgen zwei Mitarbeiter da wären, die mir mit meinen Fragen weiterhelfen könnten. Ansonsten fiel mir als Alternative noch ein Roadtrip nach Norden oder Auszeit in einer kleinen Berghütte (idealerweise mit Polarlichtgarantie) ein. Vertrauen auf das, was sich zeigt…
Im Rückblick hatte ich viele schöne Erfahrungen in der Natur und auch mit den Menschen, die mir begegnet waren machen können, ich hatte Zeit für mehr Mediationen gefunden, war wieder in das Gefühl mit meiner Umgebung eins zu sein eingetaucht, hatte sehr innige Zeiten mit Tara erleben dürfen … und gleichzeitig war klar, dass es sich erst wie der Anfang anfühlte … ich war immer wieder aufgetaucht aus meiner Pilgerreise, hatte organisiert, war auch viel Kontakt mit Freunden gewesen. Das war einerseits wichtig und auch schön, aber gleichzeitig lenkte es mich auch ab. Als ich das schrieb, schaute ich auf und sah mich im Aufenthaltsraum des Hotels mit seinen alten Polstersesseln und mit Blick auf den Fluss Nidelva um. Wo wäre ich jetzt lieber? Hier oder in einer kleinen einfachen Holzhütte in den Bergen mit Holzofen? Die Antwort war klar und jetzt musste ich sie nur noch finden… die kleine Auszeithütte in den Bergen … oder die Mitarbeiter des Pilgertzentrums hatten morgen noch eine andere Idee.

Admin - 21:31:12 | Kommentar hinzufügen

Am 26.09.22 geht es los...

Gästebuch

Michael Fetzer
12.10.2022 18:15:22
Ups, da machst du ja 'Erfahrungen' im Sauseschritt!
Zum Glück scheinst du koerperlich noch so fit, deine Reise fortsetzen zu koennen. Und vermutlich bist du in dir schon an Punkte gelangt, wo du bisher gar nicht wusstest, dass es sie gibt...
Und ein (oder mehrere) aussergewoehnlicher Schutzengel scheint dich zu begleiten. Gut zu wissen.
Weiterhin gutes Gelingen und auf einen Austausch, der wahrscheinlich Tage dauert :-)
Michael Fetzer
02.10.2022 14:44:04
Hallo liebe Sandra, wahrscheinlich eignet sich Norwegen wie kaum ein anderes Land, im Durchwandern zu sehen - gehen zu lassen - sich erinnern - loszulassen...
Sehen, erspüren, hinein- und hinausgehen. Der Prozess von Lebendigkeit ein- und ausatmen. Sich einlassen, im Tun die Wirkung erfahren und zu neuen Horizonten aufbrechen.
Eigentlich alles ganz einfach :-)

Schön, dass du dir Zeit und Raum nimmst, wieder tiefer einzutauchen: in dich, deine Fragen, deine Schritte, deine Wünsche, deine Perspektiven.
Egal was kommt, es wird gut!
Stärkende Grüße, Michael