Sandra Euringer
Coaching & Training - Kreativtherapie - Yoga Nidra - Self Care - hub2hub

2022-11-05

Buen Camino!

3.11.22
Als ich aufwachte, war ich wieder bei dem gestrigen Koan. Es entstand ein inneres Bild, wie eine vertikale Licht-Spirale ohne Zeitachse; es war schon alles da, es ging nur darum, es zu sehen und zu erfahren. Es gibt einen ähnlichen Vers aus einem anderen Koan dazu:
Bevor ein Schritt getan wird, ist das Ziel bereits erreicht; bevor die Zunge bewegt wird, ist die Rede bereits beendet….
Es war, als würden durch diesen Impuls bestimmte wiederkehrende Themen in meinem Leben viel klarer hervortreten und gleichzeitig Sinn ergeben. Nicht nur die Antworten waren wichtig, die Fragen hatten genau denselben Stellenwert.
In unserem gestrigen u.lab Treffen hatten wir alle, beruflich oder privat, mit Menschen zu tun, die durch ihre egoistische und ignorante Art uns oder anderen Leid zugefügt hatten. Leid, das letztlich dazu geführt hatte, möglichst viel Distanz zu diesen Menschen zu bekommen. Was war die Alternative? Gibt es eine? Was passiert, wenn diesen Menschen innerhalb einer Gruppe keine Aufmerksamkeit mehr gegeben wird, und die Gruppe stark genug ist, um den Fokus auf einen generativen Dialog zu richten und ihn dort zu halten? Könnten sich die Beziehungsmuster dann nicht grundlegend verändern?

Bevor ich losgefahren war hatte ich noch zwei Findhorn Karten gezogen: „Brüderlichkeit & Schwesterlichkeit“ und „Licht“. Ich nahm sie als Zeichen für das, was jetzt wichtig war: Zwischenmenschliche Beziehungen und Licht in allen Formen.
Ansonsten war meine Fahrt durch prasselnden Regen dadurch geprägt. Ich fuhr solange, wie ich mich fit fühlte und als ich mein Navi nach einem Hotel in der Nähe befragte, landeten wir im nahen Tarare und gleich um die Ecke gab es für Tara einen Weg ins Grüne.

4.11.22
Wir brachen früh auf, fuhren zunächst für Stunden wieder durch prasselnden Regen und dann brach die Wolkendecke immer wieder auf und es war ein hin und her zwischen Regen und Sonnenschein. Sobald ich in Spanien war, klärte sich der Himmel ganz und die Sonne schien. Es fühlte sich mehr nach einem lauen Sommerabend als nach November an. Etwa 50 km vor Burgos hielt ich an; ich hatte noch keine Ahnung, wo ich übernachten sollte und wo ich für die nächsten Wochen mein Auto lassen konnte. Da ich vorher nicht gewusst hatte, ob ich es tatsächlich bis Burgos schaffen würde, hatte ich auch nicht weiter versucht, etwas zu organisieren. Mein Bauchgefühl sagte ganz klar, das klappt. Und so war es dann auch. Ich hatte mir 2 Hotels, die gut klangen, herausgeschrieben und angerufen und beim zweiten meinte die nette Frauenstimme, ich solle mir keine Gedanken wegen meinem Auto machen, mittlerweile wäre der Parkplatz nicht mehr voll und ich könnte mein Auto kostenlos bei ihr stehen lassen. Und so verbrachten Tara und ich unsere Nacht am Jakobsweg, 12 km vor Burgos in Villafria.

5.11.22
Bereits um 1o Uhr waren wir bis nach Burgos gelaufen. Bis dahin bekam ich öfter ein freundliches „Buen Camino“ von den Einheimischen zugerufen, oder Autofahrer winkten mir zu.  Wie schön! Der Camino eben!
In Burgos stellte sich dann heraus, dass die Pilgergerberge erst ab 14 Uhr öffnen würde und ich dort meinen Pilgerpass bekommen könnte. Die Mitarbeiterin im Touristenbüro hatte dann aber eine bessere Idee und meinte, dass mir eine der anderen Herbergen unterwegs bestimmt auch einen verkaufen könnte und gab mir einen Stempel auf ein Blatt Papier, damit ich ihn später in meinen Pass einkleben könnte. Und dann liefen wir weiter.
Das Wetter war traumhaft und ich merkte, wie Erinnerungen der letzten Jahre auftauchte: vor 19 ½ Jahren war ich in Burgos zum ersten Mal auf dem Jakobsweg gestartet. Damals hatte ich meinen ältesten Sohn (2 ¾ Jahre) in einem zum Kinderwagen umgebauten Fahrradanhänger mit dabei und war im 5 Monat schwanger. Es war damals schon klar, dass unsere Familie nach Australien auswandern würde und ich wollte die Zeit nutzen, um auf dem Jakobsweg zu laufen, nachdem ich Jahre zuvor Paulo Coelho`s Buch „Auf dem Jakobsweg“ gelesen hatte. Ich fand es sehr schwer mit Kind meine spirituelle Praxis in irgendeiner Form noch zu praktizieren und wollte einfach ausprobieren, wie es wäre, mit meinem Sohn zu laufen. Ich hatte nichts zu verlieren: Sollte es nicht klappen und für ihn oder mich zu viel werden, dann könnte ich einfach abbrechen. Es wurde zu einer meiner schönsten und mich sehr verändernden Reisen. Hier habe ich echtes Vertrauen gelernt.
Und jetzt war ich wieder hier. Dieses Mal mit Tara … und ich machte mir schon Gedanken, wo ich heute schlafen sollte. Eine Spanierin mit Hund hatte mich am Morgen angesprochen und große Besorgnis geäußert, da es sehr schwer sei mit Hund eine Übernachtung zu finden. Vertrauen!
Ich stellte mir vor, wie ich am Abend ein Bett und einen Platz für Tara und mich gefunden hatte und mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen müsste.
Am späten Nachmittag traf ich dann auch den ersten anderen Pilger – wie schön, diese kurzen Begegnungen und Verbindungen; es war mir gar nicht bewusst, wie ich das in Norwegen vermisst hatte.
Die meisten Herbergen hatten tatsächlich geschlossen aber meine App sagte mir, dass es im nächsten Dorf noch eine Herberge geben sollte. Bis dahin waren wir bereits über 30 km gelaufen und das reichte uns beiden. Wie sich herausstellte, war es auch genau die Herberge, in der ich vor über 19 Jahren übernachtet hatte. Es waren bereits einige Pilger da, die sich draußen sonnten. Die Betreuerin der Herberge, eine sehr nette junge Spanierin, meinte, es sei schwierig, Tara mit in die Herberge zu nehmen, aber nach einer Weile zog sie mich am Arm in ein bis dahin verschlossenes Nebenzimmer und meinte mit leiser Stimme, was ich denn davon halten würde, wenn ich hier alleine mit Tara übernachten würde. Der Raum war wegen mangelnder Beheizung bereits geschlossen, aber wir hatten einen ganzen Raum für uns alleine. Wunderbar, einfach wunderbar!
Abgesehen, von 2 Katzen, die sich durch Taras Gebell nicht verjagen ließen, schien es auch Tara zu gefallen. Ich ging wieder nach draußen in die Sonne und dann traf ich Isabella. Sie hatte nach einer längeren Unterbrechung von mehreren Wochen den Jakobsweg wie ich heute gestartet. Wie sich herausstellte, war sie auf dem Jakobsweg gelaufen und hatte, nachdem sie so starke Bauchkrämpfe verspürt hatte, dass sie einen Bus anhalten musste, im Krankenhaus die Diagnose auf Darmkrebs erhalten. Da sie seit vielen Jahren in den USA lebte, hatte sie sich dazu entschieden, den Tumor direkt am nächsten Tag herausoperieren zu lassen. Trotz der Empfehlung einer anschließenden Chemotherapie war sie danach für 4 Wochen zur Erholung mit ihrem Mann ins Baskenland gereist und jetzt wieder alleine auf dem Camino. Es fühlte sich genau richtig für sie an und genau das strahlte sie auch aus. Tiefes Vertrauen in das, was der Weg ihr zeigen sollte.

Admin - 20:54:33 | Kommentar hinzufügen

Am 26.09.22 geht es los...

Gästebuch

Michael Fetzer
12.10.2022 18:15:22
Ups, da machst du ja 'Erfahrungen' im Sauseschritt!
Zum Glück scheinst du koerperlich noch so fit, deine Reise fortsetzen zu koennen. Und vermutlich bist du in dir schon an Punkte gelangt, wo du bisher gar nicht wusstest, dass es sie gibt...
Und ein (oder mehrere) aussergewoehnlicher Schutzengel scheint dich zu begleiten. Gut zu wissen.
Weiterhin gutes Gelingen und auf einen Austausch, der wahrscheinlich Tage dauert :-)
Michael Fetzer
02.10.2022 14:44:04
Hallo liebe Sandra, wahrscheinlich eignet sich Norwegen wie kaum ein anderes Land, im Durchwandern zu sehen - gehen zu lassen - sich erinnern - loszulassen...
Sehen, erspüren, hinein- und hinausgehen. Der Prozess von Lebendigkeit ein- und ausatmen. Sich einlassen, im Tun die Wirkung erfahren und zu neuen Horizonten aufbrechen.
Eigentlich alles ganz einfach :-)

Schön, dass du dir Zeit und Raum nimmst, wieder tiefer einzutauchen: in dich, deine Fragen, deine Schritte, deine Wünsche, deine Perspektiven.
Egal was kommt, es wird gut!
Stärkende Grüße, Michael